Nach 80 Jahre stehen wir heute zusammen! Das ist fast ein ganzes Menschenleben! Heute erinnern wir an den 8. Mai 1945, den möglicherweise wichtigsten Tag der Bundesrepublik, den „Tag der Befreiung“ wie es der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker einst ausdrückte.
Deutschland hat an dem Tag eine Chance bekommen, weltoffen und integrativer zu sein. Wir haben eine Chance bekommen, weltoffen und integrativ zu sein.
Und diese Chance haben wir ergriffen! Wenn wir heute durch die Schwerter Innenstadt spazieren, laufen wir an Gotteshäusern verschiedener Religionen vorbei und können nicht nur Currywurst, sondern auch Pizza oder Tapas essen. Wir können die Vorteile einer multikulturellen Gesellschaft ganz auskosten. Dies ist ein historisches Privileg, welches es zutiefst zu schätzen gilt. Man möge sich vorstellen, wie unser allen Leben ohne diese Chance aussähe. Ein weltweit isolierter Bauerstaat, wie es 1944 dem amerikanischen Finanzminister Morgenthau vorschwebte, vielleicht?
Dass wir hier heute gemeinsam stehen zeigt, dass eine Gesellschaft, ihre Fehler akzeptiert und aufgearbeitet hat. Oder?
Leben wir nicht mittlerweile in einer wehrhaften Demokratie, in der Verfassungsfeinden nicht gleich Werkzeuge wie der Notstandsartikel an die Hand gegeben werden?
Wir leben in einer Republik, dessen wichtigstes Mantra am Anfang der Verfassung geschrieben steht: „Die Würde des Menschen (nicht des Deutschen) ist unantastbar“.
Denkt man an den zurückliegenden Wahlkampf zu den Bundestagswahlen, die Debatten über Menschen die Asyl suchen oder über Menschen die Bürgergeld empfangen, lässt sich fragen: Ist die Würde des Menschen in Deutschland wirklich unantastbar?
Vor einiger Zeit las ich einen Post in den Sozialen Medien von einer Abgeordneten im Bundestag, die sowohl ideologisch als auch tatsächlich die Nachfahrin von Nationalsozialisten ist. In diesem Post hielt sie ein Schild mit dem Hashtag #weremember in die Kamera. Daraufhin kam ich über diese Fragen ins Grübeln.
Was ist unsere Erinnerungskultur wert, wenn solche Menschen, wenn moderne Nazis, ans Erinnern verweisen und gleichzeitig eigentlich nichts vom Erinnern wissen wollen.
Wenn die Mehrheit der Deutschen glaubt, ihre Vorfahren wären Opfer und nur 18% sie wären Täter gewesen. Wenn Menschen sich nicht mehr vorstellen können, dass so etwas noch einmal passieren kann.
Die Geschichtsforschung sowie das Engagement von vielen Persönlichkeiten haben uns zwar die Daten und Fakten gegeben, um ein nuanciertes Bild zu kreieren. Nur leider kommen wir an dieses Ideal viel zu selten.
Menschen werden zu Statistiken, auf ihr Opfer-Sein reduziert und Leid wird ausgeblendet.
Auch wenn ich es emotional sehr gut verstehen kann, denn diese Leid ist quasi unvorstellbar und selbst als nicht direkt betroffene Person nur schwer zu ertragen, sind wir es den Opfern schuldig ihre Menschlichkeit zu verstehen und sie nicht ungewollt ein zweites Mal zu entmenschlichen.
Außerdem wird leider zu häufig ignoriert, dass die Opfer des NS-Regimes (gerade die jüdischen Opfer) feste Grundpfeiler der Gesellschaft und eben keine Aussätzigen waren. Und genau dafür ist das Erzählen von und das Zuhören bei Persönlichen Geschichten, aber auch das Besuchen von Gedenkstätten wie diesen, besonders in der Schulzeit, so wichtig. Gerade in aktuellen Zeiten!
Ein ähnliches Problem haben wir absurderweise aber auch bei den Tätern. Um hier den Leiter der Gedenkstätte des KZ Buchenwalds Jens-Christian Wagner zu zitieren: „Wir haben ein stark verbreitetes Geschichtsbild, wonach die NS-Täter gewissermaßen Wesen von fremden Sternen sind“. Was er damit meint, ist, dass es eine Auffassung gibt, wonach die Nationalsozialisten intrinsisch schlechtere Menschen waren und nicht, dass eben Menschen wie sie und ich das schlimmste Verbrechen der Menschheit organisierten.
Gerade wenn man bedenkt, dass ca. 1/3 der Opfer des Holocausts an der Ostfront durch normale Soldaten ermordet wurden, ist dies besonders problematisch. Diese Ethnischen Säuberungen werden nicht ohne Grund von Historikern als der „vergessene Holocaust“ bezeichnet.
Leider profitieren Geschichtsrevisionisten bis heute von solch einem Denken. Denn da wir keine „Wesen von fremden Sternen“ in der Gesellschaft haben, kann so etwas ja nicht mehr passieren und leider glauben das 40% in Deutschland.
Auch wenn ich jeden der hier heute erinnern will, äußerst schätze muss trotzdem gesagt werden, wenn wir auf die Zahl der heute anwesenden schauen, und sie vergleicht mit der Einwohnerzahl, wird klar, welchen Stellenwert Erinnern und Mahnen in Großteilen unserer Gesellschaft einnimmt. Es scheint, man müsste mit Ach und Krach versuchen, uns Deutsche an das Erinnern zu Erinnern.
Am Ende bleibt die Frage, was tun damit wir nicht den gleichen Weg wie einst gehen? Damit die nächsten Generationen sich keine Gedanken um eine nächste Erinnerungskultur machen müssen?
Eins bleibt sicher: Wir müssen, auch wenn es unangenehm wird, weiter für die weltoffene und demokratische Gesellschaft, in der wir leben, kämpfen. Im Kleinen, wie im Großen. Man darf nicht aufgeben, bevor man schon verloren hat!
Die letzten Wochen vergingen nicht widerstandslos im Bündnis Schwerte gegen rechts. Viele, die vor den Wahlkampf der diesjährigen Bundestagswahl noch an unserer Seite im Kampf gegen rechts standen, wendeten sich ab und blicken nun in Richtung der extremen Rechten. Die Diskursverschiebung wird immer offensichtlicher und wird nicht verhinderbar sein, wenn wir den Rechtsextremismus der Verschieber nur benennen und sie nicht tatsächlich auch mit allen Mitteln des Rechtstaates bekämpfen. Das sind wir denjenigen schuldig, die unter deutschen Faschismus litten und leiden. Deshalb freuen wir uns über jeden, der sich unserem Kampf gegen rechts, unserem antifaschistischen Bündnis, anschließt. Wir werden zusammenhalten und uns die Hände geben müssen. Schon lange war der Faschismus am 08. Mai so offenkundig und so nah.
Das Einbringen, um das Wiederholen zu verhindern, ist die Verantwortung, welche wir aus der Schoah haben.
Oder auch wie es der Dachau-Überlebende Max Mannheimer einst sagte: „Ihr seid nicht schuld an dem, was war. Aber dafür, dass es nicht mehr geschieht“
Vielen Dank.
Fotos von der Gedenkveranstaltung








